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„Tragische Kombination von Ereignissen“: Warum Fußballerin Lena Oberdorf sich schon wieder das Kreuzband riss
Die erneute Knieverletzung der Nationalspielerin ist kein Einzelfall. Eine Expertin erklärt, warum der Profifußball seine Spielerinnen überfordert – und was es braucht, um Kreuzbandrisse zu verhindern.
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Es war mucksmäuschenstill am FC Bayern Campus, als Lena Oberdorf in einem Zweikampf zu Boden ging und sich direkt mit schmerzverzerrtem Gesicht ans rechte Knie griff. Die schlimmsten Befürchtungen, die Mitspielerinnen und Fans schon am Sonntag ins Gesicht geschrieben standen, sollten sich einen Tag später bewahrheiten: Lena Oberdorf erlitt ihren zweiten Kreuzbandriss innerhalb von 15 Monaten.
„Ich würde die gewagte Hypothese aufstellen, dass wenn sie keine Verletzung im Vorfeld gehabt hätte, sie vermutlich nicht so eine schwerwiegende Verletzung wie einen Kreuzbandriss erlitten hätte“, sagt Sportwissenschaftlerin Christiane Wilke, die an der Sporthochschule Köln zu Bewegungstherapie sowie bewegungsorientierter Prävention und Rehabilitation forscht.
Kreuzbandrisse treten in über 80 Prozent der Fälle ohne Kontakt mit einer anderen Fußballerin auf, umso unglücklicher sei die Verletzung Oberdorfs im Spiel gegen Köln gewesen. Zumal die Situation bereits in der 20. Minute passierte und ein Ermüdungsfaktor da noch keine Rolle gespielt haben dürfte. „Andererseits ist sie so gelandet, wie das bei dem Verletzungsmechanismus oft der Fall ist. Dann kam noch der Kontakt der Gegenspielerin dazu“, meint Wilke. „Es war eine sehr tragische Kombination von Ereignissen.“ Ganz grundsätzlich gelte aber, dass die Verletzungsanfälligkeit größer sei, wenn man schon mal eine schwerwiegende Verletzung hatte.
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Es bleibt eine niederschmetternde Diagnose für Lena Oberdorf, die sich im Juli 2024 ihren ersten Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen hatte. „Until we meet again“, schrieb die Spielerin des FC Bayern in einem Post auf Instagram, den sie mit einem gebrochenen Herzen versah. Der Zuspruch in den Sozialen Medien war anschließend riesig, zahlreiche Profifußballerinnen schickten ihr Genesungswünsche.
Der Schock bei Bayern, wo sie erst acht Pflichtspiele nach ihrem Wechsel 2024 bestritten hat, und dem DFB war ebenfalls groß. Oberdorf sollte in der anstehenden Nations-League-Phase eigentlich ihr Comeback im deutschen Nationalteam geben. Doch stattdessen wurde die 23-Jährige bereits am Dienstag operiert und wird nun erneut monatelang ausfallen.
Oberdorf reiht sich ein in die Aufzählung mehrerer Fußballerinnen, die sich in dieser Saison schon schwer verletzt haben. Da wäre die Nationalstürmerin Giovanna Hoffmann von RB Leipzig (Kreuzbandriss), die ehemalige Nationaltorhüterin Merle Frohms (Kreuzbandriss), Nationaltorhüterin Ann-Kathrin Berger (Knieverletzung), oder Giulia Gwinn, die nach ihrer Knieverletzung bei der Europameisterschaft im Sommer gerade erst wieder voll einsatzfähig ist. Laut des Portals „Soccerdonna“ fehlen derzeit bei den 14 Bundesliga-Teams insgesamt 16 Spielerinnen wegen eines Kreuzbandrisses.
Die Belastung von Top-Fußballerinnen ist deutlich gestiegen
Doch woran liegt es, dass sich die Knieverletzungen aktuell derart häufen? Sportwissenschaftlerin Wilke führt das vor allem auf die gestiegene Belastung im Profifußball der Frauen zurück. Seit der Corona-Pandemie, durch welche die EM 2021 ein Jahr nach hinten verlegt wurde, hatten Nationalspielerinnen wie Klara Bühl oder Jule Brand keinen Sommer mehr frei. Hinzu kamen die Aufstockung der Bundesliga von zwölf auf 14 Teams oder der veränderte Modus in der Champions League sowie der neu geschaffene Europa Cup, durch den Spielerinnen deutlich öfter in einer Saison im Einsatz sind.
Topspielerinnen wie etwa Spanierin Aitana Bonmati oder Engländerin Georgia Stanway, die in den jeweiligen Wettbewerben weit kamen, blieben noch weniger Zeit zur Regeneration als ohnehin schon. „Die Belastung ist deutlich höher und Fußballerinnen haben mittlerweile den gleichen Trainings- und Spielaufwand wie die Männer, werden aber häufig nicht so langfristig zielgerichtet betreut, etwa hinsichtlich des Athletiktrainings“, erklärt Wilke. Frauen seien ihr zufolge in der Regel zwar selbstreflektierter, was ihren Körper angeht und insgesamt gesundheitsaffiner, die Beanspruchung im Leistungssport sei dennoch sehr hoch.

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Dass das Thema Kreuzbandrisse und Verletzungen – gerade bei Bayern München – derzeit so groß ist, sei auch auf die deutlich gestiegene mediale Aufmerksamkeit zurückzuführen. „Es wird viel umfassender darüber berichtet, sodass solche Verletzungen viel präsenter sind.“
In diesem Zusammenhang nennt sie die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), über die Profisportler:innen unfallversichert sind. „Die VBG hat im aktuellen Jahresreport zum ersten Mal eine Frauenstatistik mit aufgenommen, was die Verletzungshäufigkeit angeht“, sagt Wilke. Verletzungen von Frauen im professionellen Sport würden also viel mehr in den Fokus rücken als früher, was möglicherweise suggeriert, dass es mehr Verletzungen gibt.
Fest steht laut des VBG-Reports, der Daten aus den Spielzeiten 2021/22 und 2022/23 analysierte, dass das Kniegelenk mit über 22 Prozent die am häufigsten verletzte Körperregion bei Frauen ist, gefolgt vom Sprunggelenk (20 Prozent) und dem Oberschenkel (18 Prozent).
Zyklusbasiertes Training ist nicht unbedingt die Lösung
Mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass Frauen aufgrund ihrer Anatomie und des Hormonhaushalts prädestinierter sind, einen Kreuzbandriss zu erleiden. Durch eine deutlichere X-Beinstellung etwa werden aus biomechanischen Gründen Bänderverletzungen im Knie begünstigt, hinzu kommt ein schlechteres Bindegewebe als das von Männern.
Ein Großfeld, 2×45 Minuten, dieselben Strecken und das, obwohl Frauen physiologisch andere Voraussetzungen haben. Das erhöht die Verletzungsanfälligkeit.
Sportwissenschaftlerin Christiane Wilke
Bei der Leistungsfähigkeit kann auch der Menstruationszyklus eine Rolle spielen. „Tatsächlich ist es aber so, dass es noch keine wissenschaftlichen und evidenzbasierten Ergebnisse gibt“, meint Wilke. Die Erfassung des Zyklusses sei dafür noch zu schwierig. „Fest steht zwar, dass der Zyklus Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hat, wie er sich aber letztendlich auf eine Verletzungsanfälligkeit auswirkt, lässt sich daraus noch nicht direkt schließen“, erklärt Wilke.
Die Sportwissenschaftlerin weist zudem darauf hin, dass der Frauenfußball deutlich athletischer geworden sei und das gleiche Anforderungsprofil an Männer und Frauen im Fußball problematisch sei. „Ein Großfeld, 2x45 Minuten, dieselben Strecken und das, obwohl Frauen physiologisch andere Voraussetzungen haben. Das trägt sicherlich dazu bei, dass die Verletzungsanfälligkeit sich erhöht.“
Bei Lena Oberdorf und der zweiten schlimmen Verletzung in solch einer kurzen Zeitspanne stellt sich die Frage, ob ihr zweiter Kreuzbandriss im rechten Knie hätte verhindert werden können – gerade bei einem professionellen Klub wie Bayern, der laufend Leistungstests mit seinen Spielerinnen durchführt. „Gerade nach einem Kreuzbandriss ist es so wichtig, dass die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist. Es ist aber wirklich schwer, zu beurteilen, wann jemand so weit ist, dass sie oder er wieder auf so hohem Niveau einsteigen kann“, erklärt Wilke.
Das Thema Prävention muss mehr angegangen werden
Einen Lösungsansatz, um gar nicht erst einen Kreuzbandriss zu erleiden, sieht sie in der Prävention, die ihr zufolge in einigen Klubs noch nicht genug thematisiert werden würde. „Es hat sich jetzt erst das Bewusstsein entwickelt, aber Prävention muss nachhaltig sein und kann nicht sofort wirken.“
Sprich: Spielerinnen wie Lena Oberdorf im Alter von Mitte 20 profitieren unter Umständen noch nicht von einer guten, im Mädchenfußball gelegten athletischen Basis, bevor sie in professionelle Förderstrukturen kommen. „Diese Grundlage gibt es oft noch nicht mal im Jungenfußball.“ In diesem Bereich müssten Trainer:innen aber nach wie vor deutlich mehr geschult werden und in jedem Training Athletikteile einbauen.
Als Beispiel nennt Wilke das sogenannte Fifa-11+-Programm, also ein Aufwärmtraining, das nachweislich das Verletzungsrisiko bei Fußballer:innen um 30–50 Prozent senken kann und somit auch das Risiko für Kreuzbandrisse verringert. Es besteht aus Lauf-, Kraft-, Balance-, Beweglichkeits- und plyometrischen Übungen und sollte regelmäßig (zwei bis drei Mal pro Woche) als Teil des Aufwärmprogramms durchgeführt werden, um langfristig wirksam zu sein. „Es ist überraschend, dass das Programm im Jugendfußball nicht mehr eingesetzt wird. Wenn man das regelmäßig in einem Training einbauen würde, würde das schon ganz viel helfen.“
Mithilfe von Tests könnten zudem individuelle Stärken und Schwächen einzelner Spielerinnen festgestellt werden und dann spezifisch trainiert werden. „Dazu gehört Training der Beckenstabilität, der Abduktoren, der Oberschenkelmuskulatur. Ich gehe davon aus, dass die professionell orientierten Vereine das inzwischen machen, nur muss die Basis viel eher gelegt werden.“
Verletzungen wie die von Lena Oberdorf zeigen, wie dringend der Frauenfußball nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern vor allem auch bessere präventive Strukturen braucht – von der Jugend bis in den Profibereich. Damit künftig Weltklasse-Spielerinnen wie Oberdorf oder Gwinn langfristig geschützt werden und so von einer derartigen Verletzungshistorie verschont bleiben.
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